Nein, keine Angst, das ist kein außerirdischer Eindringling, das ist nur eine Stubenfliege. Und noch dazu eine verblichene! Da sie sich nicht mehr bewegen kann, ist diese tote Fliege ein dankbares Studienobjekt für Makroaufnahmen mit extremer Vergrößerung.
Abbildung 1: Die Facettenaugen der Fliege in Frontalansicht (Anklicken zum Vergrößern). Das Bild wirkt nur in der vollen Auflösung von 15 MP (s. auch die Makro-Rubrik in der Galerie). Kameraeinstellungen wie unten beschrieben.
Eine Herausforderung ist es, die Facettenaugen möglichst gut erkennbar zu reproduzieren, eine zweite, die Fliege möglichst bedrohlich oder auf eine andere Art interessant wirken zu lassen. Eine letzte Herausforderung ist es, das Setup so zu wählen, dass jeder, der die Aufnahme nachvollziehen will, sich das notwendige Equipment auch leisten kann!
Die letzte Forderung schließt teure dedizierte Makroobjektive, wie sie im Makro-Workshop kurz vorgestellt werden, aus. Preiswerte Zwischenringe oder Linsenfiltervorsätze scheiden auch aus: Mit ihnen ist es zwar möglich, aber eher schwierig, Facettenaugen zu fotografieren. Aber viele User haben mit ihrer Kamera bereits das mitgelieferte sog. Kit-Objektiv erworben und das eignet sich oft erstaunlich gut für extreme Makroaufnahmen, wenn man es in Retro-Stellung betreibt. Auch hierzu wurden bereits die technischen Details im Makro-Workshop vorgestellt. Hier nur so viel: Der verwendete Retroadapter für das Canon-EF-Bajonett ist passiv und damit wirklich erschwinglich (Amazon: „canon retro“, ca. 20 Euro. Vorsicht, das Maß muss zum Filtergewinde passen!). „Passiv“ bedeutet aber auch, dass er keinerlei Information von der Kamera an das Objektiv überträgt. Im Detail heißt dies, dass der Anwender manuell scharfstellen muss und dass die Blende nicht mehr einstellbar ist.
Die erste Einschränkung ist nicht weiter schlimm. Der Autofokus nützt in den Bereichen, in die wir hier vordringen wollen, sowieso nicht mehr viel. Man fokussiert, indem man die gewünschte Vergrößerung einstellt und dann die Kamera behutsam vor- und zurück bewegt. Die zweite Einschränkung ist gravierender: Man kann bei Verwendung dieses preiswerten Adapters keine Blendeneinstellung vornehmen. Die Vorgabe einer relativ weit geschlossenen Blende von vielleicht 10 bis 14 ist aber der einzige Weg, bei Makroaufnahmen in diesem Maßstab noch eine einigermaßen akzeptable Schärfentiefe zu erzielen. Mit einem Trick ist dann aber die Blende zumindest bei Canon-Kameras doch einzustellen. Hierzu wird das Objektiv in Standardstellung aufgesetzt, die Blende eingestellt auf bspw. 13, der Knopf für die Schärfentiefevorschau (oder auch: „Aperture Preview“) gedrückt und gehalten, und dann, bei gehaltenem Knopf, das Objektiv von der Kamera gelöst. Die Blendeneinstellung bleibt hierbei erhalten. Der Trick ist nicht ganz ungefährlich, da der Objektivwechsel normalerweise bei ausgeschalteter Kamera erfolgen soll. Beim Autor gab es allerdings noch nie Probleme.
Die Abbildungen zeigen Setup und Ergebnisse. Verwendet wurden zwei preiswerte Blitzgeräte von Yongnuo, eingestellt auf ca. 2/3 der Leistung, sowie Funkreceiver und -transmitter, ebenfalls von Yongnuo (Bezug über eBay, Kosten jew. um die 40 Euro). Das Fokussieren ist in diesem Aufbau durch die weit geschlossenen Blende und den damit dunklen Sucher nicht einfach. Hier hilft eine starke Schreibtisch- oder Taschenlampe, um die Szene zu erhellen.
Abbildung 2: Alien-Invader-Setup: Zwei Yongnuo-Blitze links und rechts, angesteuert via Yongnuo- Remote-Trigger, Diffusor-Socken auf den Blitzen, Fliege in Klemmpinzette, rotes T-Shirt als farbiger Untergrund. Kameraeinstellungen: Av= 13, tv = 1/125 s, Gain = ISO 200 für eine kürzere Blitzladezeit.
Die dritte Abbildung zeigt zwei Seitenansichten der Fliege mit verschiedenen Fokuseinstellungen, aufgenommen für die anschließende Montage in ein einziges, durchgehend scharfes Bild.
Abbildung 3: Fliege in Seitenansicht, bedrohlich von schräg unten. Aufgenommen wurden zwei Bilder mit unterschiedlichem Fokus für eine anschließende Montage. Kameraeinstellungen wie oben.
Hier scheiterten Versuche mit der Focus-Stacking Software „HeliconFocus“, da Rotations- und Skalierungsunterschied zu groß waren (vgl. auch den Workshop zu HeliconFocus). Was aber ganz gut funktioniert ist das manuelle Zusammenfügen in Photoshop. Es folgt eine Kurzanleitung hierzu.
- Zuerst wird jeweils eine Ebene für jedes Bild angelegt.
- Dann werden die scharfen Bereiche, bspw. das scharfe Auge ausgeschnitten, in die andere Ebene kopiert und per „frei transformieren / Ctrl-t“, falls notwendig auch per „transformieren / verzerren“ möglichst sorgfältig eingepasst. Zum genauen Einpassen hilft es, die obere Ebene transparent zu machen bzw. die Deckkraft zu verringern.
- Nun kann der Rand des scharfen Auges vorsichtig weich ausradiert werden.
- Jetzt können die Ebenen auf eine Ebene reduziert werden.
- Der Rest ist Standard: Fehlstellen und Staubkörner wegstempeln, partiell wo notwendig dezent abwedeln und nachbelichten, Tonwertkorrektur, Gradationskurven etwas anpassen, in den scharfen Bereichen maskiert vorsichtig schärfen (bspw. mit Hochpassfilter), in den unscharfen Bereichen im Hintergrund maskiert dezent das Rauschen reduzieren, leichter Crop (bspw. mithilfe der Goldenen-Schnitt-Schablone von Atrise), leichte Vignette, fertig!
Abbildung 4: Das Ergebnis der Bildmontage (Anklicken zum Vergrößern). Wieder wirkt das Bild nur in der vollen Auflösung von 15 MP (s. Galerie).
Weiterführende Details zum Thema Makrofotografie finden sich in folgenden Workshops:
- Workshop: Makrofotografie
- Workshop: Focus Stacking mit Helicon Focus
Noch ein Wort zu unserem Darsteller: Die unentwegten Stubenfliegen wird man lebendig kaum in dieser Qualität ruhig vor die Linse bekommen (Schwebfliegen schon eher, vgl. auch die Galerie). Wenn man aber die toten Fliegen von der Fensterbank als Studierobjekte heranzieht, so stellt man rasch fest, dass diese bereits zu viele Staubkörner angezogen haben. Mindestens an den Staubkörnern auf den Facettenaugen ist dann sofort zu erkennen, dass es sich um ein totes Insekt handelt, und ein Großteil des Zaubers ist dahin!
Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Man versucht, die tote Fliege von der Fensterbank mit Druckluft o.ä. bestmöglich aufzubereiten oder man fängt eine lebendige Fliege, schließt sie luftdicht in ein frisch gespültes und damit staubfreies Marmeladenglas ein und friert sie ein. Das mag aber manch einer selbst bei einer Fliege als Tierquälerei bezeichnen!
Hallo, zuerst Gratulation für das Foto!
Ich habe nur einige wenige Versuche mit Objektiv in Retrostellung hinter mir (Kette: Nikon D7000-Retroring58mm-Objektiv Nikkor50mm G1.8. Was zuallererst auffiel war die enorme Lichtschwächung und der extrem kurze Abstand zwischen Objektiv und Objekt. Hatte dann (vielleicht vorschnell) aufgegeben. Kannst du mehr Angaben zum Objektiv (welche Brennweite?) machen. Wurde das finale Bild (Abb4) gecroppt und wenn ja um welchen Faktor.
Hallo,
klar, das Licht wird weniger, das geht nur sinnvoll bei großen Vergrößerungsmaßstäben mit Blitz.
Im Beispiel stehen da zwei Blitze in geringem Abstand und so auf halber oder voller Leistung, die da draufballern, dann wirds hell genug 🙂
Problem: Du musst ja auch noch fokussieren, und bei einem passiven Retroadapter ist ja nun die Blende leider zu (= ist keine Springblende mehr)*, da brauchst Du ein Hilfslicht… kl. Halogenlampe oder ähnlich.
Retroadapter ermöglichen extreme Vergrößerungen, abhängig von der Brennweite — je weitwinkliger, desto größer. Ein Zoom ist eigentlich besser finde ich.
Ich komme mit meinen Sigma 10-20 an einer Cropkamera auf ca. V=7. Da kommt noch nichtmal das MP-E65 mit 🙂
Für zivilere Vergrößerungsmaßstäbe taugen Zwischenringe besser.
Nein, viel gecroppt ist da nicht…
Details / kompletter Workflow usw gibt es hier im Buch: „Kreative Blitzpraxis“.
viele Grüße
Tilo
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* Teure aber schicke Alternative für Canon: Novoflex Retro-Adapter, der ist aktiv, ich habe den auch (mittlerweile) und finde ihn toll.